Sterbebegleitung über Social Media – eine zeitgemäße Ergänzung zur klassischen Hospizarbeit?
Wie kann Verbundenheit entstehen, wenn ein Mensch alleinstehend ist – und das Wissen um den bevorstehenden Tod plötzlich Raum greift? Wie kann Gemeinschaft trösten, wenn sie nicht im selben Raum, sondern im digitalen Raum stattfindet?
Angelika Thaysens neues Buch „In Liebe und Schönheit“ greift eine höchst aktuelle und gleichzeitig sensible Fragestellung auf: Es dokumentiert die digitale Sterbebegleitung einer an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankten Frau, die nur noch wenige Monate zu leben hatte – und ihren letzten Lebensweg nicht isoliert, sondern getragen in einer selbst initiierten, digitalen Supportgruppe gehen wollte. Über die Plattform „Signal“ lud sie Weggefährt:innen – Nachbarn, Kolleginnen, Freundinnen, frühere Schülerinnen – ein, sie virtuell zu begleiten.
Die Autorin war selbst Teil dieser Gruppe. Ihre Perspektive verbindet eine persönlich berührte Erzählweise mit fundierter hospizlicher und psychoonkologischer Erfahrung. Im Zentrum steht dabei nicht nur die dokumentierte Begleitung eines Menschen am Lebensende, sondern auch eine fachlich reflektierte Auseinandersetzung mit der Rolle digitaler Kommunikation in existenziellen Krisen.
💬 Zwischen Präsenz und Pixeln – Chancen und Grenzen digitaler Nähe
In ihrem theoretischen Teil analysiert Thaysen, warum digitale Räume zunehmend an Bedeutung gewinnen – nicht nur durch die Pandemie, sondern auch durch den demografischen Wandel, die Zunahme von Single-Haushalten und gesellschaftliche Tendenzen zur Vereinsamung. Sie beleuchtet dabei:
- Die kommunikative Hemmschwelle, über Krankheit, Sterben und Tod zu sprechen – besonders im persönlichen Gespräch.
- Die niedrigschwellige Offenheit digitaler Räume, die Austausch erleichtern und emotionale Beteiligung ermöglichen kann.
- Die Grenzen und Risiken, etwa Missverständnisse, Überforderung durch Dauerverfügbarkeit oder fehlende leibliche Präsenz in kritischen Momenten.
Dabei gelingt es der Autorin, praktisch nutzbare Erkenntnisse für die hospizliche und palliative Arbeit zu formulieren. Sie benennt beispielsweise:
- Tipps zur Gründung und Moderation digitaler Unterstützergruppen
- Hinweise für Begleitende, worauf in digitalen Settings besonders zu achten ist
- Reflexionsfragen, die zur Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung im Umgang mit digitalen Medien und existenziellen Themen anregen
Nichtfamiläre Unterstützerkreise als Ressource
Besonders interessant für Fachkräfte ist Thaysens Perspektive auf nichtfamiliäre Unterstützungsnetzwerke – ein Bereich, der in der Versorgung von alleinstehenden oder wenig sozial eingebundenen Menschen künftig eine wachsende Rolle spielen dürfte. Ihre Erfahrungen belegen: Auch locker verknüpfte Gruppen können tragende Beziehungen aufbauen, wenn Vertrauen, Offenheit und eine gewisse Struktur gegeben sind.
In der Kombination aus Erfahrungsbericht, Theorieteil und dokumentierten Chatverläufen zeigt „In Liebe und Schönheit“ beispielhaft, wie digitale Begleitung mehr sein kann als ein Notbehelf: Sie kann Resonanzraum sein, Halt geben, zur Mitgestaltung anregen – und ein Mosaik aus Zuwendung entstehen lassen.
Die Autorin
Angelika Thaysen bringt langjährige Erfahrung aus der Hospizarbeit, Trauerbegleitung und psychoonkologischen Beratung mit. Ihre Expertise als Supervisorin und Referentin fließt in die reflektierte Darstellung ebenso ein wie ihre persönliche Betroffenheit.
Für wen ist dieses Buch besonders lesenswert?
- Für Hospizdienste und SAPV-Teams, die nach neuen Wegen der Begleitung suchen
- Für Psychoonkolog:innen, Pflegende und Palliativeinrichtungen, die digitale Optionen integrieren wollen
- Für Angehörige und Begleiter:innen, die mutig neue Kommunikationsformen ausprobieren möchten
- Und für alle, die sich mit der Frage auseinandersetzen: Wie wollen wir begleiten – und wie selbst begleitet werden, wenn es so weit ist?
In Liebe und Schönheit ist ein eindringliches, warmherziges und fachlich inspirierendes Buch – ein Impuls für mehr Offenheit im Umgang mit digitalen Möglichkeiten und ein Plädoyer für neue Formen von Gemeinschaft am Lebensende.