Lebenslust und Lebensangst

Erzählungen aus einem Leben mit Sterben und Tod
Franco Rest

9,90 

Lebenslust und Lebensangst – jeder, der Sterbende auf Ihrem Weg begleitet kennt diese Gefühle, Angst und Freude liegen oft nahe beieinander.

ISBN 978-3-941251-51-9

Erscheinungsdatum: 27.06.2012
Artikelnummer: 978-3-941251-51-9 Kategorien: ,
 

Beschreibung

Lebenslust und Lebensangst – jeder, der Sterbende auf Ihrem Weg begleitet, kennt diese Gefühle, Angst und Freude liegen oft nahe beieinander. Franco Rest, Mitbegründer hospizlichen Handelns und Palliative Care in Deutschland, weiß das wie kein anderer und erzählt davon. Seine Erzählungen kommen aus dem Leben und dem Sterben. Existentielle Entscheidungen, die auf Basis ethischer Betrachtung und Nachdenklichkeit erörtert werden, er kleidet sie in Erzählungen. Franco Rest hat seine Erzählungen mit der Betrachtung der Themenfelder erweitert, hat wichtige Entscheidungsfelder klar herausgehoben und so zum Leben und zum Sterben klar Stellung bezogen. Jeder Mensch, der andere begleitet, muss dieses Buch lesen. Es berührt Themen, über die wir immer wieder nachdenken sollten.

266 Seiten, Softcover

Ludwigsburg 2012

Prof. Dr. Franco Rest
geb. 1942 in Ferrara, Prof. (a.D.) für Erziehungswissenschaften Sozialphilosophie/Sozialethik an der FH Dortmund
Archäologe, Soziologe, Erziehungswissenschaftler, Autor, Theologe und Philosoph
Mitbegründer der Hospizbewegung in Deutschland
Autor zahlreicher Publikationen in den unterschiedlichsten Genres

Doris Lindner. Rezension vom 01.11.2012 zu: Franco Rest: Lebenslust und Lebensangst

Thema
Der Titel lässt (vorerst) durchblicken: Erzählungen aus einem Leben mit Sterben und Tod, uns vielfach vertraut (wenn das Sterben nicht wäre) und doch weitestgehend fremd ob der mangelnden Erfahrungen im Umgang mit Sterben und Sterbenden in unserer Gesellschaft. Diese Entfremdung vergrößert auf der einen Seite die Angst (vor dem Sterben), auf der anderen Seite zeigt sie uns jedoch die Notwendigkeit gelebter Lust. In diesem Spannungsfeld zwischen Lebenslust und Lebensangst, sowohl auf Seiten der Sterbenden als auch der Seite derjenigen, die Sterbende begleiten, bewegen sich die hier vorgelegten Geschichten. Schon seit jeher werden Erfahrungen und Wissen in Form von Geschichten ausgetauscht und tradiert. Erfahrung ist wohl auch etwas, das der Autor dieses Buches, Franco Rest, reichlich mitbringt. Als Mitbegründer hat er die hospizlich-palliative Bewegung in Deutschland begleitet und maßgeblich beeinflusst. Wenn uns hier nun Geschichten erzählt werden, dann spiegeln sich nicht nur diese erlebte Praxis aus Leben und Sterben wider, sondern immer auch implizites Wissen über Sterben und Tod. Existentielles wird auf Basis von Ethik und Reflexion in seiner Entscheidungsfindung betrachtet. Dem Leser nun bleiben zwei Möglichkeiten, sich der Themenfelder rund um diese Entscheidungsprozesse zu nähern: über erzählte Lebensgeschichten den Theorien oder umgekehrt von einer theoretischen Fragestellung begleitet, sich auf die Lebensgeschichte einlassend. Tod und Sterben und die Angst, die sie im Menschen erzeugen, ist also der Kern aller dieser Erzählungen, und diese sind wiederum das, was wir dem Tod entgegensetzen. Mit ein wenig Pathos werden wir uns hier doch auseinandersetzen müssen.

Autor
Franco Rest, 1942 in Italien geboren, widmet sich seit vielen Jahren den Themen Sterben, Tod und Trauer, befasst sich mit Sterbenden und ihrer Begleitung, der palliativ-hospizlichen Sorge und Ethik. In diesen und ähnlichen Zusammenhängen sind zahlreiche Forschungen und Publikationen entstanden, nicht nur wissenschaftlich fundiert, sondern immer auch mit Bezug zur gelebten Praxis. Franco Rest ist Philosoph, Ethiker, Erziehungswissenschaftler, Soziologe, Theologe, Lyriker und Hochschullehrer.

Entstehungshintergrund
Mit dem 2012 im Hospiz-Verlag vorliegenden Werk greift der Autor erneut zurück auf Geschichten rund um Sterben, Tod und Trauer, aus dem Leben entstanden und dadurch sehr nahe an der Begleitung Schwerstkranker, Sterbender und existentiellen Sorgen geführt. Diese Ebene der Unmittelbarkeit ist jedoch nur eine Dimension des Erzählens, in der die Geschichte an sich und in ihren narrativen Räumen betrachtet wird. Um wichtige Inhalte aufzugreifen und diese dem Leser inhaltlich und im Sinne einer Wissensvermittlung näher zu bringen, ist es unabdingbar, sich davon zu distanzieren. Das Buch ist ein Versuch, diese zwei Dimensionen möglichst zu trennen und es obliegt dem Leser, der einen oder anderen Grundintention zu folgen.

Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst insgesamt 22 Geschichten und Erzählungen, die jeweils unterschiedliche Themenfelder ansprechen. Am jeweiligen Kapitelanfang finden sich diese Themen aufgelistet, um im Anschluss an die spezifische Lebensgeschichte erneut aufgegriffen und inhaltlich vertieft zu werden. Hier wird erklärt und erläutert, während die Geschichten selbst direkt vom Leben erzählen. Künstlerisch begleitet sind die einzelnen Erzählungen durch anschauliche Fotographien, als Fragmente des Lebens setzen sie das Geschriebene in Szene. Im Zentrum stehen jedoch die im Buch enthaltenden Geschichten, die einen Bogen spannen und dabei jene Themenfelder aufgreifen, die durch Sterben, Tod und Trauer existentiell gerahmt werden und mit diesen unabdingbar korrespondieren.

Eine Vielzahl solcher Themen wird besprochen, an die 50 lassen sich ausmachen. Sie rücken dabei unterschiedliche Blickwinkel und Sichtweisen in das Bewusstsein, lassen Saiten anklingen, mit denen wir uns identifizieren können; andere wiederum erscheinen uns in ihrer je spezifischen Sicht der Dinge auf den ersten Blick fremd. Der Tod beispielsweise wird nicht nur in Abhandlung des großen Reigens von Geburt und Tod thematisiert, indem ein Leben sich spannt zwischen den Eckpunkten, die es begrenzen; abstrahierend finden wir auch Erzählungen, die den Freitod, den Selbstmord und die Suizidbeihilfe in den Mittelpunkt rücken. Die Frage nach dem Freitod definiert im Wesentlichen einen Sinn des Lebens. Der Mensch, der absichtlich sein Dasein beendet, demonstriert durch den spezifischen Akt der Selbsttötung sein besonderes Verhältnis zur eigenen Person und der eigenen soziokulturellen Wirklichkeit, die für ihn lebensunwürdig geworden ist. Man möchte so nicht mehr leben, aber will man eigentlich tot sein? Wird die Qualität des Sterbens am Grad der Autonomie als höchstes Gut gemessen, ist passives, hilfloses Sterben-Müssen nicht mehr akzeptabel. Autonomie und Partizipation stehen in einem Spannungsfeld und wird die Autonomie einseitig betont, besteht die Gefahr im Sterben in einer Vereinsamung und der Erfahrung von Sinnlosigkeit. Erwächst nicht aus diesem Spannungsfeld die in der Gegenwart vielfach erhobene Forderung nach assistiertem Suizid oder aktiver Sterbehilfe?

Die Frage nach dem Sinn des Lebens begegnet uns nicht nur in dieser Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der Personen, die sie verüben, sie begegnet uns auch und vor allem immer dann, wenn Menschen existentiell an ihre eigenen Grenzen geworfen werden.

Was scheint uns sinnloser zu sein als das Sterben von Kindern?
Wo sind wir mehr denn je gefordert, wenn wir uns aufrichten und buchstäblich über Leben und Tod anderer entscheiden (müssen), weil sie von der Medizin als hirntot oder klinisch tot bezeichnet werden?
Wie steht es mit Organspenden, sind sie ethische Pflicht, weil sie Leben retten oder ein tödliches Dilemma, weil sie unsere Vorstellungen von Menschenwürde auf den Kopf stellen?
Was lässt uns mehr zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Lebens, wenn unsere Liebsten im Zustand totaler Hilflosigkeit durch Apparate künstlich am Leben gehalten werden und wir zu wissen glauben, sie wünschen sich den Tod?
Was wäre umgekehrt, wenn wir wissen, dass eine Person im Dauerkoma weiterleben möchte (oder wir sie weiterleben lassen möchten), es aber eine mit einem entsprechenden Hinweis ausgestattete Patientenverfügung gibt, die eine, in solcher Situation, Beendigung des Lebens fordert?
Wem obliegt die Erfassung der Selbstbestimmung eines schwer dementen oder im Wachkoma liegenden Patienten, wenn es keine solche Verfügung gibt?
Wir bewegen uns in vielerlei Hinsicht in Grauzonen und in vielerlei Hinsicht dann, wenn es um das Thema Sterbehilfe, Sterbenshilfe geht. Die gesellschaftlichen Folgen einer gesetzlichen Humanisierung der aktiven Sterbehilfe oder der Beihilfe zum Suizid können wir schwer abschätzen, sie werden jedoch meist negativ bewertet.

Konträr dazu stehen Hospizversorgung und Palliativmedizin, die Euthanasie kategorisch ablehnen und sich gleichzeitig zu einem Ausbau einer umfassenden Betreuung und Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen durch eine flächendeckende Palliativ Care-und Hospizversorgung bekennen. In diesem Sinn wird den Sterbebegleiter/innen eine tragende Rolle zugesprochen, denn sie können zu einem würdevollen Leben bis zuletzt beitragen. Die Frage um die Lebensqualität steht dabei im Mittelpunkt und die Frage, ob und wann das Leben eines Menschen beendet werden soll, wird schlichtweg obsolet. Im Zusammenhang einer umfassenden Sterbebegleitung gehören auch Themen wie Religion und religiöse Spiritualität, Ganzheitlichkeit, Kommunikation und Körperkontakt, Biographiearbeit, Ängste und Befürchtungen ernstnehmen und naturgemäß auch Abschied in seinen vielen Facetten. Verstirbt ein Mensch nach langer Krankheit, konnten die Angehörigen bereits ein Stück Abschied nehmen und Trauer antizipieren. Hingegen wird der Tod durch gewaltsame Einwirkung als verpasste Gelegenheit eines bewussten Verabschieden-Könnens gewertet. Die Zeit danach gehört der Trauer, dem Loslassen und der Gestaltung der Beziehung zum Toten in einem neuen Licht.

Diskussion
Geschichten über Tod und Sterben, Franco Rest reflektiert gewohnt auf hohem Niveau und greift dabei in seinen Betrachtungen auf eine Vielzahl von Themenfeldern zurück, die zahlreiche Nuancen von Tod und Sterben berühren und ins Bewusstsein rücken. Schwerpunktsetzungen und Akzente verwundern nicht, denn sie spiegeln in aller Breite den aktuellen Diskussionstand wider. Bei aller Vielfalt der Themen, die uns begegnen, ist doch von grundsätzlicher Bedeutsamkeit das Erzählen dieser Lebensgeschichten einschließlich der emotional besetzten Erfahrungen, die damit einhergehen. Das Buch führt sehr unvermittelt in Entscheidungen, die nicht nur den eigenen Tod und das eigene Sterben berühren, sondern in vielfältiger Hinsicht Tod und Sterben anderer. Der abrupte Übergang vom Leben in den Tod unter Auslassung des Sterbeprozesses beispielsweise ist zumindest für die, die zurückbleiben, etwas anderes, als die Begleitung eines langsamen und phasenweisen Sterbens, das seinen Abschluss nicht in einer Entscheidung, sondern im Tod findet. Es sind dies vor allem Entscheidungen, die sehr eng mit ethischen Fragen verwoben sind und tief in unsere Vorstellung von Menschenwürde greifen.

Beim Lesen entsteht ein Bild von Einzelschicksalen, die ihrer Lebenssituation mit unterschiedlichsten Emotionen Ausdruck und Form geben. Dabei stehen Angst und Freude oft nebeneinander oder sind miteinander eng verwoben. In den Geschichten steckt eine außergewöhnliche Dichte und Spannung, die verkraftet werden will und die ihre Wirkung bei den Lesern nicht verfehlen wird. Die Suche nach Antworten auf existentielle Fragen des Lebens mit nachlassender Gesundheit, Sterben und Tod sinnen nachdenklich und vermitteln dabei keinen vorschnellen, gar tröstlichen Appell, zeigen jedoch die Bedeutsamkeit, zum Leben und zum Sterben klar Stellung zu beziehen. Dies zu bewirken ist ein weiterer Pluspunkt, der Franco Rest in diesem Buch geglückt ist.

Fazit
Da die Lebensgeschichten Zugang zur Welt der Sterbenden und damit zur eigenen Endlichkeit gewähren, ist die Lektüre dieses Buches tendenziell ein Gewinn, nicht nur für diejenigen unter uns, die Sterbende begleiten.

Rezensentin Dr. Doris Lindner

https://www.socialnet.de/rezensionen/14053.php

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