Beschreibung
Sterbehilfe stellt das Tötungsverbot als gesellschaftliches Tabu radikal in Frage. Sie bricht mit dem Gebot, dass kein Mensch einem Anderen das Leben nehmen darf. Daneben verkörpert vor allem der ärztlich assistierte Suizid oftmals die Hoffnung, dem Sterben und dem damit verbundenen (möglichen) Leid zu entkommen.
Der medizinische Fortschritt bringt Segen und Fluch zugleich. Mit den sich rasant entwickelnden, lebensverlängernden Behandlungsmethoden und therapeutischen Verfahren entsteht bei vielen Menschen die Furcht, dem Leben nicht mehr entkommen zu können. „Was ich brauche, ist eine Exitstrategie“, titelte der Autor des Romans Tschick, Wolfgang Herrndorf. Er erschoss sich. Der ehemalige Intendant des MDR Udo Reiter folgte seinem Beispiel. Kann die „Selbstbeseitigung“ kranker Menschen als angemessener und menschenfreundlicher Umgang mit schweren Erkrankungen, Sterben und Tod angesehen werden? Braucht eine moderne Gesellschaft deshalb umso mehr Regelungen für Dritte, um „das schreckliche Sterben“ zu verhindern? Oder sind Perspektiven in ganz anderer Richtung zu suchen?
Anna Rosenkranz stirbt in einem Husumer Pflegeheim. Mit etwas über vierzig Lebensjahren ist sie für eine Senioreneinrichtung eigentlich noch viel zu jung. Durch Zufall wird erkannt, dass sie keines natürlichen Todes gestorben ist. Womöglich ein assistierter Suizid? Anna Rosenkranz, die einst von einer Karriere als Tänzerin auf internationalen Bühnen träumte, haderte angesichts gravierender gesundheitlicher Probleme mit dem Leben. Ebenso zauderten die Menschen um sie – hilflos und einsam vor der Aufgabe, mit der Lebensrealität von Anna Rosenkranz umzugehen.
Mit ihrer Tochter Helene Rosenkranz, die sie alleine großgezogen hat, verbindet sie ein ambivalentes Verhältnis. Ein Motiv? Oder brachten Überlastung und Alltagsroutine bei den Pflegern hinreichende Gründe hervor? Was tat der Heimleiter, der vor allem ökonomische Interessen verfolgte? An die Seite von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit gesellt sich in Oxymoron eine menschenfreundliche Leichtigkeit, die mit Schalk und neuen Bildern von Sterben und Tod tradierte Klischees und überzeichnete Ängste enttarnt.
Bei ihren Ermittlungen kommen die Husumer Kommissare Katharina Becker und Ole Sörensen mit den unterschiedlichen Facetten von „Hilfe“ im Sterben in Berührung. Für die Leserschaft werden die konträren und streitbaren Meinungen zum Thema sichtbar. Mord steht vermeintlich hehren Zielen von Selbstbestimmung und autonomer Lebensführung gegenüber. Das erlösend Leichte, die scheinbare Harmlosigkeit und Betulichkeit des „sanften Entschlafens“ wird als harte Grausamkeit gewaltvoller Tötung entlarvt. Die verschiedenen Perspektiven und Lebensrealitäten von Katharina Becker als junge Frau Anfang dreißig und Ole Sörensen, der geschieden und mit knapp fünfzig Lebensjahren gezwungenermaßen die Beziehung mit seinem Vater aktualisiert, spitzen die Kontroversen zu.
Oxymoron setzt die Debatten um den (ärztlich) assistierten Suizid in den Rahmen eines Krimis und lotet Positionen und Grenzen aus. Keine Lösungen und Eindeutigkeiten stehen auf der Agenda, sondern freundliche Nachdenklichkeiten über die Lesarten von Selbstbestimmung und Solidarität unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen.
Oxymoron
Oder: Der Tod der Anna Rosenkranz
Christine Bruker, Christoph Schmidt
282 Seiten, kartoniert, Esslingen 2016, der hospiz verlag
ISBN: 978-3-941251-93-9, Preis: Euro 14,99 (D)/Euro 15,30 (A)